Eigentlich wollten die Nazis mit ihrer "Vergeltungswaffe 2" den Krieg gewinnen, stattdessen war sie ein militärischer Reinfall. Die Entwicklung kostete Zehntausende KZ-Zwangsarbeiter:innen das Leben. Doch für die Raumfahrt war die V2-Entwicklung des Teams um Wernher von Braun wegweisend.
Offiziell heißt sie „Aggregat 4“, besser bekannt ist sie als V2: Die berüchtigte Nazi-Rakete. Gebaut wurde sie eigentlich als „Vergeltungswaffe 2“, wie es Adolf Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels formulierte. Doch unter der Leitung von Wernher von Braun wurde aus der V2-Rakete der Grundstein für die bemannte Raumfahrt.
Die Rakete wurde ab 1939 als Nachfolgerin der V1-Rakete gebaut, also zu Beginn des 2. Weltkriegs. Sie sollte eine ganze Reihe an Premieren durchführen: Die erste ballistische Rakete mit Flüssigtreibstoff, das erste menschgemachte Objekt im All, das erste Foto der Erde aus dem All.
Technische Innovation
Der erste technische Durchbruch war die Entwicklung eines Flüssigkeitstriebwerks für die V2. Die Rakete flog mit einem Mix aus 75 Prozent Ethanol und 25 Prozent flüssigem Sauerstoff (LOX). Gängiger waren Feststoffraketen oder Pulstriebwerke.

Die neue Bauweise ermöglicht eine enorme Schubkraft. Zum Vergleich: Der Marschflugkörper V1 hatte mit seinem Pulsstrahltriebwerk eine Schubkraft von ca. 335 Kilogramm. Die ballistische V2-Rakete hatte eine Schubkraft von 25 Tonnen (25.000 kg).
Ein weiterer Vorteil eines Flüssigkeitstriebwerks bestand darin, es steuern zu können. Das Triebwerk kann abgeschaltet und neu gezündet werden, wodurch sich die Rakete lenken lässt – das war zuvor undenkbar. Damit waren die Deutschen den USA und der Sowjetunion in der Raketenforschung um etwa 10 Jahre voraus.
Daten und Fakten
Länge: 14 Meter
Startgewicht: 12.900 kg
Schub: 25.700 kg
Fluggeschwindigkeit: max. 5.400 km/h
Reichweite: max. 320 km
Gipfelhöhe: 90 km – Rekordhöhe: 174,7 km
Erster Weltraumflug: 20. Juni 1944 (120 km)
Wernher von Braun forscht an der Ostsee
Entwickelt wurde die Rakete in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde, an der Ostsee. Verantwortlich war ein Team um den damals erst 25-jährige Maschinenbauer Wernher von Braun.

Beeinflusst durch Science-Fiction-Träume der 1920er Jahre, vor allem Hermann Oberths „Rakete zu den Planetenräumen“ und Fritz Langs „Frau im Mond“, griffen die Forscher nach den Sternen. Dafür gingen sie eine Unheilige Symbiose mit den Rüstungsbestrebungen des Dritten Reichs ein.
Ein Prototyp geht in die Massenproduktion
Am 3. Oktober 1942 startete der Prototyp der Aggregat 4 erstmals erfolgreich vom „Prüfstand VII“. Da die Nazis sich bereits mitten im Krieg befanden, schickten sie diesen sofort in die Massenproduktion, auch wenn er fehleranfällig war. Die Gier nach der „Wunderwaffe“ war groß genug, um darüber hinwegzusehen.
1943 wurde Peenemünde von der britischen Luftwaffe bombardiert. Diese wussten zwar nicht, was sie da beschossen, die Nazis gerieten jedoch in Panik und dezentralisierten die Produktion und den Betrieb der V2. Die Aufsicht übernahm die SS. Heute ist auf dem Areal in Peenemünde ein Naturschutzgebiet, das Historisch Technische Museum sowie ein Test- und Forschungsflugplatz.








„Wunderwaffe“ forderte Zehntausende Opfer – in der Produktion
Für die V2-Fertigungen wurden KZ-Häftlinge u.a. aus Buchenwald, Mauthausen, Sachsenhausen als Zwangsarbeiter:innen eingesetzt. Später wurde eigens das KZ Dora zunächst als Außenposten von Buchenwald eingerichtet und später zum KZ-Mittelbau umbenannt. Dort mussten zwischen 1943 bis zur Befreiung 1945 etwa 60.000 Menschen unter grausamen Bedingungen die V2-Rakete zusammenbauen. Sie bauten etwa 5.975 V2-Raketen.
Abgefeuert wurden ungefähr 3.000 V2-Raketen. Sie trafen u.a. London, Antwerpen und Paris. Dabei starben etwa 8.000 Menschen. Bei der Fertigung der Rakete starben allein im KZ Mittelbau-Dora Zehntausende. Laut Gedenkstätte Mittelbau-Dora vermerkte die SS 12.000 Tote, man geht allerdings von 20.000 Häftlingen aus, die die Zwangsarbeit nicht überlebten.



Für die Nazis war die V2-Rakete eine katastrophale Fehlinvestition. Sie kostete 3 Milliarden Reichsmark (heute 20 Milliarden Euro). Dabei transportierten alle V2-Raketen insgesamt 3.000 Tonnen Sprengstoff. Zum Vergleich: alle Bombenangriffe auf Deutschland umfassten 2 Millionen Tonnen Sprengstoff.
„Ein nahezu gänzlicher Fehlschlag“
Statt der gewünschten Wunderwaffe könnte die V2 mitentscheidend gewesen sein, dass Deutschland im Luftkrieg gegen die Alliierten verlor. Albert Speer, der im Dritten Reich Rüstungsminister war, beschrieb das folgendermaßen:
Ich bin noch heute der Ansicht, dass die Rakete [Boden-Luft-Abwehrrakete Wasserfall, AdR.] im Verein mit den Strahljägern ab Frühjahr 1944 die Luftoffensive der westlichen Alliierten gegen unsere Industrie hätte zusammenbrechen lassen. Stattdessen wurde ein Riesenaufwand in die Entwicklung und Fertigung von Fernraketen gesteckt, die sich, als sie im Herbst 1944 endlich zum Einsatz bereitstanden, als ein nahezu gänzlicher Fehlschlag erwiesen. Unser aufwendigstes Projekt war zugleich unser sinnlosestes. Unser Stolz und zeitweilig mein favorisiertes Rüstungsziel erwies sich als eine einzige Fehlinvestition. Zudem war sie eine der Ursachen dafür, dass der defensive Luftkrieg verlorenging. (In: Speer, Albert (1969): Erinnerungen, S.375.)
USA schnappen sich Technik und Forscher
Die US-Amerikaner hatten bereits 1943 Zeichnungen der V2-Rakete in die Hände bekommen. Nachdem sie Deutschland befreiten, beschlagnahmten sie gezielt bereits fertige V2-Raketen sowie Bauteile für weitere 100 Raketen. Die Sowjetunion konnte nur noch Teile für 10 Raketen bergen.


National Archives, Washington)
Unter der „Operation Paperclip“ holten die USA dann Nazi-Wissenschaftler nach Amerika. Darunter war auch Wernher von Braun, der inzwischen einen Legenden-Status genießt, war er doch am Bau der Saturn-V-Rakete beteiligt, mit der die Mondlandung ermöglichte.
Auf dem neuen Redstone Arsenal der NASA baute von Braun zunächst 67 weitere V2-Raketen. Mit ihnen wurde etwa das erste Foto aus dem Weltraum aufgenommen und die ersten Lebewesen – Fruchtfliegen – ins All geflogen.

Schwierige Erinnerungskultur
Den Nazis wurde im Austausch für ihr Wissen und ihre Expertise die US-amerikanische Staatsbürgerschaft angeboten. Nur wenige Ausnahmen mussten sie für die Verbrechen verantworten, an denen sie direkt oder indirekt beteiligt waren. Wernher von Braun, erklärte viele Jahrzehnte später, er habe nichts für die Zwangsarbeiter:innen tun können, aber über die Bedingungen Bescheid gewusst. Eine Aufarbeitung dessen, wie involviert von Braun im KZ Mittelbau-Dora, fehlt bisher. Seine Anwesenheit dort gilt allerdings als bestätigt.


Eine solche Ausnahme war Arthur Rudolph, der u.a. für den Einsatz der KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter:innen und deren unmenschliche Lebensbedingungen verantwortlich war. Er arbeitete bis zu seiner Pensionierung 1969 bei der NASA und wird als einer der Väter der Saturn V bezeichnet. Erst 1982 wurden Ermittlungen zu seiner Beteiligung am Leid der KZ-Häftlinge eingeleitet, weshalb er 1983 die amerikanische Staatsbürgerschaft abgeben und nach Deutschland zurückkehren musste (mehr dazu hier). Er starb 1996 in Hamburg.